Zugspitz Ultratrail – Einmal das Zugspitzmassiv umrunden

11. November 2022von Brigitta Huckestein0

Am 16./17.07. fand – nach Corona-Absagen 2020 und 2021 – mit fast 4000 Teilnehmern die 10. Auflage des Zugspitz Ultratrails (ZUT) statt. 511 Männer und 71 Frauen starteten auf der Langdistanz zur Umrundung des Zugspitzmassivs mit 108 km und 5120 Höhenmetern. 366 Männer und 48 Frauen kamen innerhalb der vorgegebenen 28 h ins Ziel. Nach 23:48 h erreichte ich das Ziel meiner Träume. Schon das Abholen der Startunterlagen fühlte sich an wie ein Sieg. Wieviele Hürden sind doch im Vorfeld zu überwinden! Laufverletzungen, Krankheiten, Corona-Absagen, selbst ein banaler grippaler Infekt direkt vor dem Rennen kann das Aus bedeuten. Seit 2018 träume ich von diesem Lauf, 2019 war ich zum ersten Mal gemeldet. Dieses Mal sollte endlich alles passen. Na ja, fast alles. Wegen der hohen Teilnehmerzahlen waren Start und Ziel von Grainau nach Garmisch verlegt worden. Veränderte Streckenführung, verändertes Umfeld. Die Stimmung in Grainau, das Mitfiebern des ganzen Ortes, die Bilder der Schulkinder am Streckenrad habe ich schon vermisst. Ein gutes Event ist der ZUT immer noch. Früher war er überragend.

Am Morgen des Rennens ist meine Stimmung trotzdem perfekt. Mein Rucksack ist leicht, die vorgeschriebene Pflichtausrüstung plus ein paar zusätzlicher Kalorien und Blasenpflaster reichen bei der Wettervorhersage für mein persönliches Sicherheitsbedürfnis. Als eine der Letzten überquere ich die Startmatte. Bei noch angenehmen Temperaturen geht es nach einem größeren Stau an einer Engstelle aufwärts zur Alpspitze. Ich hatte damit gehadert, dass das Teilstück, das ich schon zweimal gelaufen bin, bei der neuen Streckenführung gleich am Anfang liegt. Jetzt motiviert es, denn so locker bin ich noch nie hier hochgeflogen. Bergab packe ich die Stöcke weg. Heute muss kein Fuß, kein Knie, kein irgendwas entlastet werden. Ich fühle mich jung wie lange nicht mehr. Chris hat mich auf den Punkt fit gemacht. Nicht nur die Sonne strahlt heute :-).

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Der Jägersteig ist fast trocken und damit schnell, das Holz ist griffig ist und das Kinesiotape gegen potenzielle Blasen an den Füßen hält. Bei Nässe hätte ich nachkleben müssen. Deutlich vor meiner Zeit erreiche ich VP 2 in Hammersbach. Unterwegs treffe ich Roland, mit dem ich eigentlich gemeinsam starten wollte. Ein Stück des Weges laufen wir zusammen, unterhalten uns. Doch leider muss er schon bald Tempo rausnehmen, alleine geht es weiter aufwärts. Die Landschaft ist herrlich. Die Zugspitze liegt genau vor uns in der Sonne, links die deutsche, rechts die österreichische Seilbahn. Hinter uns leuchtet der Eibsee in seinem satten Blau. „Boah, wie schön!“ rufe ich. „Danke, ich hätte sonst nie nach hinten geschaut“ freut sich der Läufer neben mir. Die Sonne heizt uns gut ein. Den Brunnen, in den wir unsere Kappen tauchen, hätte ich glatt übersehen. Auch wenn man alleine läuft ist man bei solchen Events ja nie wirklich alleine.

Ein Blick auf die Uhr zeigt: Wenn keine grundlegenden Probleme auftreten, brauche ich über Cut-off Zeiten heute nicht weiter nachzudenken. Grundlegende Probleme betreffen bei Ultraläufen oft den Magen. Ich habe mir im Vorfeld viel Gedanken über Kalorien, Flüssigkeit, Mineralien gemacht. Der Plan: „Eine Banane pro VP“ scheitert aber an Bananenmangel an VP 1, 2 und 4. Ich greife halt zu dem, was da ist, nehme etwas Tempo raus wenn ich merke, dass es mir schwer im Magen liegt. Denn auch der Magen braucht Blut, nicht nur die Muskeln. An VP 5 / Pestkapelle steigen erste Läufer mit Magenproblemen aus.

Weiter geht es steil hinauf. Ich bin immer noch einfach nur glücklich. „Du bist eine von den ganz wenigen, die lacht“ ruft mir ein Wanderer zu. Am höchsten Punkt der Strecke lasse ich mich ins Gras plumpsen, genieße einen Moment die Landschaft und sortiere meine Kabel. Bevor ich VP 6 / Hämmermoosalm, erreiche, möchte ich meine Uhr wieder voll geladen haben. Der Preis für die hübschere Damenversion der Fenix 6 ist die geringere Akkuleistung. Auch das Handy bekommt noch etwas Strom, bevor Powerbank und Ladekabel dann im Dropbag bleiben. Erst auf engen Pfaden, dann im breiteren Downhill und schließlich im schattigen Wald geht es wieder abwärts. Wie geht das nun mit dem Medizinischen Check? „Also, so wie Du hier ankommst, brauchst Du Dir gar keine Hoffnung machen, dass ich Dich aus dem Rennen nehme. Du musst bis ins Ziel laufen!“ lacht der Doc. „Warum fragen eigentlich alle nach Kartoffeln?“ fragt mich die Helferin am VP. „Die sind im Verpflegungsplan im Internet hier angekündigt!“ Ich bekomme die Letzte. Immerhin. Es hätten auch mehr sein dürfen. Aber hier wartet ja auch mein Drop-bag, u.a. mit eigenem Essenskrams.

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Drop-bag Management ist neu für mich – und dementsprechend chaotisch war es. Hier hätte ich viel Zeit sparen können. Umziehen oder nicht? Schuhe wechseln oder nicht? Bin ich wirklich so dick? Wieviel Verpflegung packe ich ein? Ich entscheide mich für komplett frische Klamotten. Mit schweißnassem Körper ist das Umziehen schwieriger als gedacht. Zwei junge Männer kommen um die Ecke. „Ist das das Frauenzelt?“ „Nein, DAS Zelt“. „Wir sind eh in einem Zustand, in dem es nicht mehr wirklich drauf an kommt“. Da hat er wohl Recht. Wir lachen. Meine frische, erst kürzlich erworbene Hose habe ich schon an. Aber man, ist die eng. Ich hatte doch eine Schere im Drop-bag? Ich entscheide mich für einen beherzten Schnitt in den Hosenbund. Jetzt passts. Die Schuhe ziehe ich doch nicht aus. Never change a winning team – auch wenn meine Fußsohlen sich über die weicheren Altras freuen würden: Das geringere Blasenrisiko und den besseren Grip haben die Salomon SLab SG. Nur zu blöd, dass ich bei meinen Überlegungen die Gamaschen ab- aber nicht wieder drangemacht habe. Gefühlt unzählige – es waren mindestens 5 – Stein-Stops beschert mir das auf der weiteren Strecke. Zumindest alle zwingenden Dinge habe ich nach dreifachem Check am VP aber wieder eingepackt.

Endlich bin ich wieder auf der Strecke. Mit den letzten Momenten Tageslicht geht es Richtung Scharnitzjoch, wieder steil hinauf. Zum ersten Mal bin ich etwas traurig. Bei der alten Streckenführung mit Start in Grainau wäre ich noch im Hellen oben gewesen. Ich weiß, wie herrlich die Landschaft hier ist – und die ist nicht einfach per Seilbahn erreichbar. Aber ich sehe nichts – außer einer Reihe von Stirnlampen, vor und hinter mir. Die Kette ist weit auseinander gezogen. Der Weg ist eng und verlangt Konzentration. Hier läuft jetzt jeder für sich. Ups, da ist doch etwas: Zwei kleine Lichtpunkte, nebeneinander. Da noch ein Paar, da auch, und da auch… Ob Kühe es mögen, wenn man ihnen in die Augen leuchtet? Die Wiese erlaubt es, einen großen Bogen zu machen. Unbehelligt erreiche ich die Bergspitze. Jetzt nur noch ein Marathon ;-)

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Der Weg auf der anderen Seite ist technischer als gedacht. Im letzten Jahr, als ich mit Thomas und Philipp hier war, war er von Schnee bedeckt und es ging auf dem Po zügig abwärts. Heute muss alles gelaufen werden. Ich bin unendlich dankbar, dass Doro mir ihren Flak-Scheinwerfer (900 Lumen) geliehen hat. Da bremst die Dunkelheit nicht ganz so. Und ich will jetzt schneller laufen, denn ich werde erwartet! „Ich komme an die Leutascher Ache, auch wenn es 2:30 wird. Schreibst Du, wann Du kommst?“ lese ich in WhatsApp. Was für eine Motivation! Die müssen doch tödlich müde sein, nach ihren Läufen, auch wenn die kürzer waren. Denn einige haben richtig, richtig Gas gegeben. 24:16 zeigt die Uhr, als ich die Messmatte an VP 7 überschreite. Und da sind sie, meine Steil ist Geil – URoP-Freunde. Ich hab mich so, so sehr gefreut, Euch zu sehen! Danke, Danke, Danke!

Ab hier wird der Weg einfach, jetzt erst mal etliche km Waldautobahn. Im Komfort-Tempo trabe ich vor mich hin. Ab und zu gönnen ich mir einen kleinen Geh-Abschnitt. Zwingend wäre das nicht, aber ich habe alle Zeit der Welt und mein Körper hat schließlich schon einiges geleistet. Ích hätte doch die Musik aus dem Drop-Bag mitnehmen sollen. Da hab ich schon so lange vor dem all dem Krempel gesessen und dann war´s doch nicht richtig. Etwas Unterhaltung wäre jetzt echt gut. Optische Anreize gibt es dank Dunkelheit nicht. Wo ist nur dieser Fast-noch-Vollmond? Der sollte doch um Mitternacht aufgehen, aber er versteckt sich wohl hinter den Bergen. Die Läuferin neben mir, mit der ich eine ganze Weile zusammen laufe, unterhält sich. Mit ihrem Telefon, nicht mit mir. Nicht sehr unterhaltsam. Langsam werde ich müde. Ich bin einfach kein Nachtmensch.

In Mittenwald sitzen diverse Läufer in den bereitgestellten Liegestühlen, in Decken gewickelt, die Augen geschlossen. Ein Liegestuhl wird frei. Ich setzte mich und beobachte: Auch die Helfer sehen müde aus. Wie halten die sich ohne Wettkampf-Adrenalin wach? Ich knabbere ein paar Salzstangen und entlasse danach zumindest meinen Magen in die wohlverdiente Nachtruhe. Meine Energie wird auch ohne weitere Nahrungsaufnahme bis ins Ziel reichen, da bin ich sicher. 23 km ab hier und nur noch rund 10 % der Höhenmeter. Irgendwie schade, dass das bald schon zu Ende ist, denke ich. So lange habe ich darauf hin gefiebert. Abgesehen von Müdigkeit geht es mir gut. Meine Beine sind immer noch locker und kräftig. Die Füße schmerzen nur, wenn ich mit den Ballen seitlich an Steine stoße. Das passiert Gott sei Dank selten. Mein Ellenbogen schmerzt. Das nächste Mal werden ich mehr Abstand zwischen Arm und Rinde lassen, wenn ich dank ausgiebiger Hydrierung die Rückseite eines Baumes aufsuche.

Mit einer größeren Gruppe verlasse ich den VP. So habe ich wenigsten etwas Anregung in der dunklen Nacht. Irgendwann zerstreut sich die Gruppe wieder, manche sind schneller, andere bleiben zurück. Ich bin wieder alleine. Meistens. Bergab überhole ich, bergauf werde ich überholt. Der Vollmond schimmert nun ab und zu durch die Bäume, versteckt sich dann wieder. Da ist der Ferchensee, völlig dunkel. Auf die Läufer, die jetzt noch hier vorbei kommen, wartet kein Fotograf. Für viele Fotos muss man wohl Basetrail oder Basetrail XL mit vierstelligen Teilnehmerzahlen laufen. Mein oberer Rücken beginnt zu schmerzen. Ich bin froh, dass ich die Stöcke an der Hose befestigen und so das Gewicht des Rucksacks reduzieren kann. Gefühlt wird es nun doch Zeit, zum Ende zu kommen. Schloss Elmau mit seinen erleuchteten Fenstern passiere ich noch im Dunklen. Dann taucht die aufgehende Sonne die Berge in zartes Rosa. Am irregulären VP 9.5 bekomme ich Aperol Spritz und härtere Sachen angeboten. Aber mein Magen ist noch im Nachtruhe-Modus. Rund 12 Liter habe ich in den letzten 22 Std. getrunken.

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Am letzten VP vorbei geht es ohne Stop gen Garmisch. Nach viel bergauf jetzt steil bergab, auf Schotter und Teer. Heißa, da kann man richtig Gas geben! Öhhh, Autsch!!! Also man könnte. Aber nach 100 km tut das dann doch verdammt weh in den Beinen. Es ist der letzte Downhill – man könnte die Schmerzen ignorieren. Muss man aber nicht. Fast alle Läufer gehen hier, um Treppchenplätze geht es für niemanden. Ich entscheide mich für sanftes Traben. So treffe ich nochmals viele Mitstreiter der vergangenen Stunden. „Du kommst jetzt zum 5. Mal an uns vorbei – es gibt aber kein Uphill mehr!“ Dann sehen wir uns halt im Ziel ;-).

Der Zieleinlauf….einfach ohne Worte!!! Auch ohne Musikpavillon. Danke an die UroPs und LRCler – ihr seid die Besten!!! Danke für grandiose Tage, inspirierende Gespräche, Mega-Unterstützung! Es gibt Momente, in denen man sich wünscht, die Zeit würde einfach stehen bleiben.

Brigitta Huckestein

Brigitta Huckestein

Mein Herz schlägt Marathon (seit 2013) und Ultratrail (seit 2016). Wenns nicht so läuft, freue ich mich auch über 3 km-Läufe. Seit 2019 ergänze ich durch swim & bike (bis MD).

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