Nordhessencup 2015 – Muskelkater für Alle

Was dem sportlichen Pfälzer sein Engelhorn-Laufcup, dem Frankfurter sein Main-Laufcup (MLC), das ist den Kenianern Nordhessens der Nordhessencup (NHC). Seit 1986 wird diese Wettkampf-Serie rund um Kassel veranstaltet und hat stolze 17 Stationen. Muskelkater ist also garantiert:

muskelkater
Muskelkater

Der Schwerpunkt der Veranstaltungen liegt ganz eindeutig im Frühjahr – die Läufe kuscheln sich mehr oder weniger an den Kassel-Marathon im Mai, der ganz eindeutig das sportliche Highlight der Region darstellt.

Ein sich immer mehr in den Fokus schiebender Lauf ist auch der Bilstein-Marathon in Kleinalmerode – insbesondere weil dabei ein 57km langer, stark profilierter Ultramarathon mit 1.700 Höhenmetern zur Veranstaltung gehört. Da finde ich spitzenmäßig, dass schon in der Ausschreibung in einem Akt gnadenloser Offenheit zwischen den „schönen“ und den „bösen“ Streckenabschnitten unterschieden wird.

Was hat das Alles mit den Runners zu tun? Na ganz einfach – meine ersten Wettkämpfe waren die Läufe beim MLC rund um Frankfurt. Irgendwann hat mir Iron-Helmut ein grünes Shirt angezogen und zack – schon war ich Teil einer nicht mehr aufzuhaltenden Pfälzer Laufbewegung. Weil ich aber in Wirklichkeit in Nordhessen in die Welt gesetzt und groß gezogen wurde, fahre ich dann doch alle 2 Monate nach Hause in die alte Heimat. Und wenn ich schon Mal da bin, dann bleibe ich gleich hier und laufe einen der NHC-Wertungsläufe – ich komme ja schließlich nicht nur vorbei, um den Kühlschrank zu plündern.

Die durchschnittliche Veranstaltung besteht aus einem Hauptlauf über 10km, einer Langstrecke über 18 bis 20km sowie den Kinderläufen in der Preisklasse 400m bis 1.000m. Mir wurde bisher nicht wirklich klar, warum man die langen Strecken nicht auf die 21,1km Halbmarathon-Distanz ausgedehnt hat. Gibt es dafür einen Grund? Würden 21,1km die Veranstaltungen nicht attraktiver machen? Fragen über Fragen!

37. Rotenburger Osterlauf

Mein absoluter Pflichttermin des NHC ist seit Jahren der Osterlauf in Rotenburg an der Fulda, der regelmäßig am Ostersamstag gestartet wird – deshalb kann ich ihn auch seit 4 Jahren wahrnehmen. Rotenburg versteckte sich bis vor Kurzen hinter dem Autokennzeichen HEF für Bad Hersfeld-Rotenburg – seit der Kennzeichenreform findet man das eigentlich uralte Kennzeichen ROF wieder.

Wofür muss man die 13.000 Einwohner zählende Stadt Rotenburg kennen? Neben der Verwaltungs-Fachhochschule, dem Herz- und Kreislaufzentrum HKZ und der schönen Altstadt sollte man auf jeden Fall einmal auf dem Strandfest Anfang Juli gewesen sein. Ganz besonders das dazu gehörende Schlosspark-Festival am Samstag bleibt Jedem für immer in Erinnerung – dabei werden in der Dunkelheit über den ganzen Park verteilt, inmitten von Musikbühnen 20.000 Teelichte angezündet. Sensationell!

Eine empirische Untersuchung hat ergeben, dass es hier eine überdurchschnittliche Quote von Liebeserklärungen und Heiratsanträgen gab und gibt.
Was verbindet mich mit Rotenburg? Also der Heiratsantrag war wo anders – darum geht es an dieser Stelle mal nicht. Jedoch habe ich an der Jakob-Grimm-Schule (JGS) mein Après-Tour gemacht und im Rahmen dieser Bildungsmaßnahme meine Zielperson für den Heiratsantrag gefunden. Der Gimmick des Osterlaufs besteht nun darin, dass Start und Ziel auf dem Schulhof der JGS sind. Es ist jedes Mal wieder eine Reise in die Vergangenheit, auf die ich mich immer wieder freue.

Also los – Start für die 18km ist seit Jahren um 15:05 Uhr am Samstagnachmittag. 5 Minuten davor sind die 10km-Läufer in die gleiche Richtung losgehetzt. Es geht 2km flach in Richtung Braach und dann kommt der erste Nadelstich-Anstieg von knapp 20% – da habe ich im Allgemeinen schon keine Lust mehr. Danach beruhigt sich die Lage erst mal wieder, bevor es hinter Braach bei km 4 knapp 5km lang richtig heftig in die Höhe geht. Auerhauerha! Das tut jedes Jahr wieder weh. Aber es erinnert mich daran, warum ich in den vergangenen Jahren in der Vorbereitung für den Rennsteig immer hier angetreten bin. Die Steigungen sind die Gleichen und irgendwie gefiel mir die Relation 18km zu 72km – im Prinzip ist der Osterlauf in meinem Gedächtnis genau ¼ Rennsteig.

Im Anstieg überhole ich noch einige 10km-Läufer (m/w), die sich dann aber in der Mitte der Steigung in Richtung Ziel verabschieden dürfen. Ebenso wie etwa 100 Konkurrenten darf auch ich nach der Getränkestelle bei km 6 nach rechts oben abbiegen. De Bersch nuff – was denn sonst! Irgendwie hört diese Steigung dann nicht mehr wirklich auf. Hinter jeder Kurve erhoffe ich den Wendepunkt der Strecke – aber der kommt nicht. Irgendwann, als ich geistig meine Karriere schon 20 Mal beendet habe, und mir schon 10 Läufer mit Vollgas entgegen kommen, bin ich dann tatsächlich oben. Aber da ist gar kein Wendepunkt! Was soll das? Eine böse Fata Morgana?

Wie ich später erfahre, hat man die Strecke von 17,3km auf „echte“ 18km verlängert und läuft deshalb noch einige Meter über den Gipfel drüber. Boah, ist das fies – man kann für 300m richtig Schwung holen, muss dann voll abbremsen und gleich wieder zurück den Berg hoch. Respekt – noch sadistischer geht es wirklich nicht. Irgendwie bleibt meine Uhr im Ziel auch bei nur 17,8km stehen.

Egal – nun geht es mit Vollgas den Berg runter und den ganzen Weg wieder zurück. Dieser Teil des Laufs macht dann natürlich wirklich Spaß. Da stört auch der kleine Gegenhang in Braach nicht wirklich. Nach 1:22:14 Stunden sprinte ich den Schulhof der JGS hoch und bin heilfroh, endlich im Ziel zu sein. Diese Zeit würde ich für den Rennsteig gerne einfach Mal 4 nehmen…

rotenburg
Rotenburg 18 km

Was will der Autor damit sagen? Die Wettkämpfe des NHC laufen weitgehend nach dem gleichen 6-Punkte-Schema:

1) Start irgendwo im Tal in der Nähe der Fulda.
2) 9km de Bersch nuff – optional mit ein paar Kilometern Anlauf im Tal.
3) Oben am Wendepunkt rum (nein – nicht das Getränk).
4) Mit Überschall de Bersch nunner.
5) Ziel irgendwo im Tal in der Nähe der Fulda.
6) Heul, Jammer, Muskelkater.

Ein weiteres exemplarisches Beispiel für diese These ist der 18km-Lauf in Körle – da war ich in den vergangenen Jahren des Öfteren am Start. Dort kommt die Berglauf-Dröhnung als Doppelschlag mit angetäuschter Erholungsphase bei km 4:

Körle 18 km
Körle 18 km

46. Bartenwetzerlauf Melsungen

Den Bartenwetzerlauf in Melsungen kannte ich bis 2015 auch nicht wirklich – meine Teilnahme ist eher ein zeitlicher Zufall. Woher kennt man als Nicht-Hesse Melsungen? Aus wirtschaftlicher Sicht mit Sicherheit wegen der Firma B.Braun. Wie sich im Prinzip fast Alle einig sind: Das Rückgrat des Nordhessischen Arbeitsmarkts. Aus sportlicher Sicht natürlich wegen den Bundesliga-Handballern der MT Melsungen. Die Einwohner Melsungens werden auch Bartenwetzer genannt. Bartenwetzer meint so ein lustiges Holzhacker-Männchen mit Axt in der Hand.

Es ist also wieder mal ein Samstagnachmittag, um genau zu sein 3 Wochen nach dem kurzentschlossenen und deshalb suboptimal gelaufenen Mannheim-Marathon. Ich bin mir aber sicher, dass noch ein wenig Restfitness von diesen äußerst harten 42,2km übrig sein muss. Also investiere ich 4€ und melde mich für die 19km-Langstrecke an. Im Übrigen will ich mal erwähnen, dass die Startgelder beim NHC im Vergleich zu anderen Regionen sehr sehr moderat sind. Daumen hoch!

Das Wetter ist ein wenig bescheiden heute, aber das hält ja keinen Läufer wirklich ab. Der Start ist in der Nähe des Leichtathletik-Stadions direkt im Wald. Und auch gleich direkt mitten in der Steigung! Den Satz „optional mit ein paar Kilometern Anlauf im Tal“ also in Melsungen gleich wieder vergessen. Insgesamt 66 Läufer trauen sich diese Strecke zu.

Los geht’s – de Bersch nuff. Die Steigung ist nicht wirklich heftig, hört dafür als Ausgleich aber überhaupt nicht mehr auf. Als ich nach 5km Getränkebecher auf dem Boden erblicke, merke ich, dass ich soeben in einer souveränen Tiefschlaf-Phase an der ersten Getränkestation vorbei gelaufen bin. Irgendwie dachte ich, dass die beiden Onkels Streckenposten ohne weitere Kompetenzen sind. So was ist mir auch noch nicht passiert. Ich war wohl geistig irgendwie auf Malle oder so. Aber zurück laufen werde ich nicht – die nächste VP kommt ja schon bei km 9. Die paar Kilometer bis dahin schaffe ich locker. Denke ich. Leider geht es immer nur de Bersch nuff. Irgendwann kommt dann auch die Verzweigung, an der die 10er und 5er abkürzen dürfen – Tschö! Bei km 8 habe ich den Anstieg geistig längst abgehakt, als es um eine Linkskurve geht…

…. und auf einmal mitten in Deutschland die Eiger-Nordwand vor mir liegt. Ich spiele kurz mit dem Gedanken, meine Karriere zu beenden (wie so oft), trabe dann aber in einer 6er-Pace diesen gnadenlosen Anstieg hoch – vielleicht bin ich ja der Erstbesteiger:

Melsungen 18 km
Melsungen 18 km

Oben ist dann die VP, an der ich mein selbst verschuldetes Wasserdefizit kompensiere und dann mit Mach 5 den Berg runter brettere. Insgesamt läuft man auf der Langstrecke hier in Melsungen, so wie bei den meisten NHC-Läufen auch, sehr vereinzelt – es starten im Allgemeinen nur wenige Sportler über die lange Strecke. Die breite Masse bevorzugt den Standard-10er (vielleicht eben doch, weil 10km besser in Bestenlisten passen und vergleichbarer sind als 18,81km).
So etwa nach 14km wird es langsam etwas schwerer – es geht einen kleinen Gegenhang zur letzten VP hoch (die, die ich auf dem Hinweg verdaddelt habe). Mit dem Instinkt eines durch tausende von Laufkilometern gestählten Kenianers greife ich in meine Gürteltasche und finde….

….ein vom Mannheim-Marathon vergessenes Stück Traubenzucker, sogar noch ordnungsgemäß verpackt und gefühlt noch nicht abgelaufen. Zack – und rein damit. So ausgepowert wie ich bin, kann ich das gut gebrauchen. Aber ganz ehrlich: Viel lieber wäre mir jetzt ein Stück von der Nordhessischen Spezialität überhaupt – der „Ahlen Wurscht“:

Ahle Wurscht (Serviervorschlag)
Ahle Wurscht (Serviervorschlag)

Ich bin mir nicht sicher, ob es diese Köstlichkeit, die im Volksmund auch „Stracke“ genannt wird, in brauchbarer Qualität auch außerhalb Nordhessens gibt. Jedenfalls sollte die jeder probiert haben, ansonsten hat man was verpasst (zu empfehlen mit Butterbrot und weiteren kulinarischen Accessoires wie z.B. Gurke). Für die Vegetarier und Veganer ist das jetzt ein bisschen schade, aber ich kann es nicht ändern.

Als der Hessische Rundfunk vor Kurzem die Liste (und das Buch und die Fernsehsendung) „50 Dinge, die ein Hesse getan haben muss“ veröffentlichte, landete das Selbermachen von Ahler Wurscht auf Platz 36! Platz 1 ist übrigens der Besuch der Dinosaurier im Senckenberg-Museum in Frankfurt. Da war ich noch nie. Da in dieser Auflistung meiner Meinung nach ganz elementare Dinge fehlen, habe ich das Ganze mal sinnvoll erweitert:

51.Platz) Frankfurt-Marathon laufen
52.Platz) Ironman zuschauen
53.Platz) Am Kirchheimer Dreieck im Stau stehen
54.Platz) In der Wetterau bei Tempo 70 geblitzt werden
55.Platz) In Mainz-Kastel am Sandstrand liegen, Weizen trinken und Brezel essen
56.Platz) An verlängerten Wochenenden einen Parkplatz auf der A5 finden

Mit dem Plan, auf dem Heimweg beim Metzger meines Vertrauens vorbei zu fahren (liegt ganz zufällig auf dem Weg), gebe ich Gas wie blöde und fliege in Richtung Ziel. Noch schnell eine Runde auf der Tartanbahn und schon bin ich nach 19km und 1:25:35 Stunden im Ziel. Gar nicht übel.
Einigermaßen platt gehe ich rüber zur Sporthalle zum Umziehen. Und es kommt, was kommen muss: Dem Duft an der Bratwurstbude kann ich nicht widerstehen. 2€ gezückt, Bratwurst gemampft, glücklich. Sehr lecker! Ich hätte ja noch so 2 oder 3 gegessen, aber die Schlange ist mittlerweile zu lang. Grrrr!
Auf dem Heimweg nehme ich mir vor, auch in Zukunft den einen oder anderen NHC-Lauf mitzumachen, wenn es die Zeit zulässt. Dafür ist die Gegend einfach zu schön!

To be continued

Christian Meise

Christian Meise

Einen Kommentar hinterlassen